31.Kündigung, §§ 17 ff. KSchG,
Massenentlassung
BAG, Urt. v. 23.3.2006 - 2 AZR 343/05,
NZA 2006, 971
Entlassung iSd. § 17 Abs. 1 KSchG meint bei einer der Richtlinie RL
98/59/EG vom 20. Juli 1998 entsprechenden richtlinienkonformen Auslegung der
kündigungsschutzrechtlichen Bestimmung den Ausspruch der Kündigung (Abänderung
der bisherigen Rechtsprechung - zuletzt: BAG 18.9.2003 - 2 AZR 79/02,BAGE 107,
318).
Der
Europäische Gerichtshof hat in der Rechtssache "Junk"
(Urteil vom 27. Januar 2005 - C-l88/03 - EuGHE I
2005, 885) entschieden, die RL 98/59/EG sei dahingehend auszulegen, dass die
Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Ereignis sei, das als Entlassung gelte
und der Arbeitgeber Massenentlassungen erst nach Ende des Konsultationsverfahrens und nach der Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung vornehmen dürfe.
Allerdings könne die Kündigung schon nach der Anzeige der beabsichtigten
Massenentlassung bei der zuständigen Behörde, und damit vor Ablauf der in der
MERL genannten Fristen, erfolgen.
Der Senat
folgt dieser Auslegung der MERL durch den Europäischen Gerichtshof. Insbesondere
§ 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG lässt auch eine richtlinienkonforme Auslegung im Sinne
dieser Rechtsprechung zu. Insoweit gibt der Senat unter Berücksichtigung der in
der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "Pfeiffer" (Entscheidung
vom 5. Oktober 2004 - C-397/01 - EuGHE I 2004, 8835)
präzisierten Grundsätze zum Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung seine
im Urteil vom 18. September 2003 vertretene gegenteilige Auffassung auf. Die
nationalen Gerichte sind nach Auffassung des EuGH verpflichtet, die nationalen
Bestimmungen so weit wie möglich auszulegen, damit sie im Einklang mit den
Zielen der Richtlinie angewandt werden könnten. Sie müssen alles unternehmen,
um die volle Wirksamkeit einer Richtlinie zu gewährleisten. Das gesamte
nationale Recht ist an Hand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie
auszulegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie
verfolgten Ziel vereinbar ist (EuGH 5. Oktober 2004 - C-397/01 - aaO). Entlassung iSd. § 17 Abs. 1
Satz 1 KSchG ist auf Grund der richtlinienkonformen Auslegung der Norm nunmehr
als Ausspruch der Kündigung zu verstehen.
Selbst wenn
eine verspätete Massenentlassungsanzeige generell zur Unwirksamkeit einer
vorher ausgesprochenen Kündigung führen würde - was aber auf Grund des Sinns und
Zwecks des Anzeigeverfahrens nicht zwingend erscheint
-, verbietet es der Grundsatz des Vertrauensschutzes im vorliegenden Fall, die
Kündigung als unwirksam anzusehen.
Anm.: In
der Begründung zur Gewährung des Vertrauensschutzes fiihrt das BAG aus:
Als Teil
der Staatsgewalt sind die Gerichte an das Rechtsstaatsprinzip gebunden und
müssen bei Änderung ihrer Rechtsprechung, nicht anders als der Gesetzgeber bei
Gesetzesänderungen, den Grundsatz des Vertrauensschutzes beachten. Der Bürger
darf erwarten und sich darauf verlassen, dass sein zum Zeitpunkt der Handhabung
rechtlich gefordertes Verhalten von der Rechtsprechung nicht nachträglich als
rechtswidrig oder nicht ausreichend qualifiziert wird. Anders als in den
Fällen, in denen es um die - bloße -rechtliche Beurteilung der Wirksamkeit
eines Rechtsgeschäfts geht, liefe es in den Fällen, in denen ein
Gestaltungsrecht bereits ausgeübt worden ist, auf eine unzulässige, im Ergebnis
echte Rückwirkung hinaus, wenn eine Rechtsprechungsänderung voll durchschlüge. Deshalb
darf nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine
Rechtsprechungsänderung regelmäßig nicht dazu führen, einer Partei rückwirkend
Handlungspflichten aufzuerlegen, die sie nachträglich nicht mehr erfüllen kann.
Zwar wirkt die Änderung einer auch lange geltenden höchstrichterlichen
Rechtsprechung grundsätzlich zurück, soweit dem nicht der Grundsatz von Treu
und Glauben entgegensteht. Eine über § 242 BGB hinausgehende Einschränkung der
Rückwirkung höchstrichterlicher Rechtsprechung ist aber geboten, wenn die von
der Rückwirkung betroffene Partei auf die Fortgeltung der bisherigen
Rechtsprechung vertrauen durfte und die Anwendung der geänderten Auffassung
wegen ihrer Rechtsfolgen im Streitfall oder der Wirkung auf andere
vergleichbare Rechtsbeziehungen auch unter Berücksichtigung der berechtigten
Interessen des Prozessgegners eine unzumutbare Härte bedeuten würde.
Auch die
ganz herrschende Auffassung in der Literatur und in der instanzgerichtlichen
Rechtsprechung hatte sich dieser Auffassung des Bundesarbeitsgerichts
angeschlossen. Hinzu kommt, dass die Agentur für Arbeit ihre Verwaltungspraxis
entsprechend gestaltet und eingerichtet hatte. Diesen Umständen kommt im Rahmen
der Prüfung, ob dem betroffenen Arbeitgeber Vertrauensschutz zu gewähren ist,
ein ganz erhebliches Gewicht zu. Der Arbeitgeber muss sich insbesondere auf
eine Entscheidung der Arbeitsverwaltung verlassen und sein Verhalten daran
ausrichten können.
Der
Vorlagebeschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. April 2003 (- 36 Ca
19726/02 - ZIP 2003, 1265) und die Thesen von Hinrichs in ihrer im Jahr 2001
erschienenen Dissertation "Kündigungsschutz und Arbeitnehmerbeteiligung
bei Massenentlassung" konnten das Vertrauen in die bisherige
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht relevant erschüttern. Es kann
dahingestellt bleiben, wann dieser Vorlagebeschluss allgemein bekannt geworden
war. Jedenfalls brauchte sich die Schuldnerin bzw. der Beklagte durch die
Entscheidung eines einzelnen Arbeitsgerichts und vereinzelter Literaturstimmen
noch nicht in seinem Vertrauen auf die Maßgeblichkeit einer bisher gefestigten
ständigen Rechtsprechung und Verwaltungspraxis irritieren zu lassen. Dies gilt
umso mehr als der Senat noch in der Entscheidung vom 18. September 2003
differenziert zu der Thematik Stellung genommen hatte. Schließlich konnte das
Vertrauen in die bisherige Rechtslage auch nicht durch die Schlussanträge des
Generalanwalts Tizzano vom 30. September 2004 (vgl.
ZIP 2004, 2019) erschüttert werden.
BAG, Urt. v. 13.7.2006 - 6 AZR
198/06, NZA 2007,25
§ 17 Abs. 1
KSchG ist im Hinblick auf die Richtlinie RL 98/59/EG vom 20. Juli 1998
richtlinienkonform dahin auszulegen, dass die Massenentlassungsanzeige vor
Erklärung der Kündigungen erstattet werden muss.
Wurde die
Massenentlassungsanzeige im Einklang mit der früheren Rechtsprechung und
Verwaltungspraxis erst nachträglich erstattet, kann sich der Arbeitgeber
hinsichtlich der Wirksamkeit der Kündigungen auf Vertrauensschutz berufen,
solange er von der geänderten Rechtsauffassung der Arbeitsverwaltung keine
Kenntnis haben musste.
32. Kündigung, Betriebsratsanhörung
(PR-Anhörung/Anhörung der MAV)
BAG, Urt. v. 10.11.2005 - 2 AZR
623/04, NZA 2006, 491
1. Einer -
erneuten - Anhörung des Betriebsrats bedarf es schon immer, wenn der
Arbeitgeber bereits nach Anhörung des Betriebsrats eine Kündigung erklärt hat,
d.h.,
wenn die erste Kündigung dem Arbeitnehmer zugegangen ist und der Arbeitgeber
damit
seinen Kündigungswillen bereits verwirklicht hat und nunmehr eine neue
(weitere)
Kündigung aussprechen will. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber die
Kündigung
auf den gleichen Sachverhalt stützt. Dieses Gestaltungsrecht und die damit im
Zusammenhang stehende Betriebsratsanhörung sind mit dem Zugang der
Kündigungserklärung verbraucht. Dies gilt insbesondere auch in den Fällen, in
denen der
Arbeitgeber wegen Bedenken gegen die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung
vorsorglich erneut kündigt.
2. Etwas
anderes kommt nur in den Ausnahmefällen in Betracht, in denen der Arbeitgeber
seinen Kündigungsentschluss noch nicht verwirklicht hat. Nur dann kann eine
erneute
Beteiligung des Betriebsrats entbehrlich sein, wenn das frühere
Anhörungsverfahren
ordnungsgemäß war, der Betriebsrat der Kündigung vorbehaltlos zugestimmt hat
und eine
Wiederholungskündigung in angemessenem zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen
und auf denselben Sachverhalt gestützt wird.
BAG, Urt. v. 12.1.2006 - 2 AZR
242/05, NZA 2006, 512
Im Falle
einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einem tariflich
unkündbaren Arbeitnehmer steht dem Betriebsrat eine Woche zur Stellungnahme
gemäß § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG zur Verfügung.
Weder § 23
Abs. 3 noch § 37 Abs. 4 MTV für die bei der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH
beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schließen die außerordentliche
Kündigung tariflich unkündbarer Arbeitnehmer aus.
Im Falle zu
erwartender dauerhafter Arbeitsunfähigkeit eines tariflich unkündbarer Arbeitnehmers ist gerade ein besonders starker Schutz des Arbeitnehmers unter
Umständen geeignet, zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines auf Dauer
sinnentleerten Arbeitsverhältnisses zu führen.
BAG, Urt. v. 27.4.2006 - 2 AZR
426/05, DVB1. 2006,1394
1. Es ist
nicht stets erforderlich, dass dem Personalrat der konkrete Termin genannt
wird, zu dem die Kündigung wirken soll. Dieser Termin ist im Zeitpunkt der
Beteiligung des Personalrats oft nicht einmal hinreichend konkret bestimmbar.
Er hängt z.B. auch von der Dauer des Beteiligungsverfahrens und dem Datum des Zugangs der Kündigung ab. Regelmäßig ist der Personalrat
ausreichend informiert, wenn die für den zu kündigenden Arbeitnehmer geltende
Kündigungsfrist feststeht und außerdem der Arbeitgeber klarstellt, dass die
Kündigung in naher Zukunft ausgesprochen werden soll. In einem solchen Fall
können Unklarheiten, die geeignet sind, die Stellungnahme des Personalrats zu beeinflussen, nicht aufkommen. Anders ist
dies lediglich in den Fällen zu sehen, dass von dem Kündigungstermin bestimmte
Ansprüche des zu kündigenden Arbeitnehmers abhängen (z.B. Weihnachtsgeld) oder
der Arbeitgeber den Personalrat über den Termin, zu dem die Kündigung wirksam
werden soll, völlig im Unklaren lässt.
2. Diese
Grundsätze gelten regelmäßig auch dann, wenn der Arbeitgeber bei einer
ordentlichen Kündigung dem Personalrat Angaben gemacht hat, die auf einen
bestimmten Kündigungstermin hindeuten, er aber diesen Kündigungstermin nicht
einhalten kann. Die Angabe des unter Beachtung der einschlägigen
Kündigungsfrist nächsten Kündigungstermins ist eher nur als Hinweis auszulegen,
dass zeitnah gekündigt werden soll. Dies muss erst recht gelten, wenn das
Beteiligungsverfahren für die außerordentliche Kündigung und die ordentliche
Kündigung in dem entsprechenden Personalvertretungsgesetz unterschiedlich
ausgestaltet ist und der Arbeitgeber gleichzeitig zu einer fristlosen und zu
einer vorsorglich auszusprechenden ordentlichen Kündigung aus denselben
Kündigungsgründen beteiligt.
BAG v. 21.6.2006, 2 AZR 300/05, AP
Nr. 1 zu § 62 LPVG Sachsen-Anhalt
1. Eine
Verletzung von Begründungspflichten wie der des § 62 Abs. 7 Satz 2 LPVG
Sachsen-Anhalt ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (2.
Februar 2006 -2 AZR 38/05 -; 5. Oktober 1995 - 2 AZR 909/94 - aaO) und des Bundesverwaltungsgerichts (26. Juli 1984 - 1
D 57.83 - BVerwGE 76, 182) jedenfalls bei der Letztentscheidung einer obersten Dienstbehörde regelmäßig
nicht geeignet, eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 108 Abs. 2 BPersVG zu begründen. Zwar ist an sich wie bei der
vergleichbaren Vorschrift des § 79 Abs. 4 BPersVG/PersVG-DDR auch bei obersten Dienstbehörden das Mitbestimmungsverfahren erst mit der
schriftlichen qualifizierten Begründung des Leiters der obersten Dienstbehörde
an den Personalrat über das Festhalten an seiner Kündigungsabsicht (§ 62 Abs. 7
Satz 2 LPVG Sachsen-Anhalt) beendet. Die Verletzung dieser Begründungspflicht
hat jedoch keine rechtlichen Auswirkungen, da der beteiligten
Personalvertretung im Organisationsaufbau keine weitere Personalvertretung
vorgeht. Nach der Empfehlung der Einigungsstelle hat hier der Leiter der
obersten Dienstbehörde das Letztentscheidungsrecht.
Die Begründungspflicht soll damit lediglich den ursprünglich am
Mitbestimmungsverfahren Beteiligten verdeutlichen, weshalb die von der
Empfehlung der Einigungsstelle abweichende Entscheidung getroffen worden ist.
Konsequenterweise enthält deshalb das Gesetz nicht einmal eine Regelung
darüber, ob oder gegebenenfalls wie lange vor Ausspruch der Kündigung die
schriftliche qualifizierte Begründung zu erfolgen hat. Die Verletzung einer
derartigen Pflicht durch den Leiter der obersten Dienstbehörde ist nicht in
einem solchen Maße mit der völligen Unterlassung der Beteiligung der
Personalvertretung (§ 108 Abs. 2 BPersVG)
vergleichbar, dass es sachlich gerechtfertigt wäre, die Unwirksamkeitsfolge
hierauf auszudehnen.
2. Die in §
62 Abs. 5 LPVG Sachsen-Anhalt aF (vom 10.02.1993)
festgelegte Bindungswirkung ohne Letztentscheidungsrecht des Leiters der obersten Dienstbehörde verstößt bei Kündigungen von
Angestellten und Arbeitern gegen das Demokratieprinzip. Die Bestimmung ist
verfassungskonform auszulegen.
33.Kündigung, besonderer
Kündigungsschutz (MuSchG, BErzGG,
SGB IX, Betriebsrat)
BAG, Urt. v. 12.1.2006 - 2 AZR
539/05, NZA 2006,1035 (§ 85 SGB IX)
Hat der
schwerbehinderte Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits
einen Bescheid über seine Schwerbehinderteneigenschaft erhalten oder wenigstens
einen entsprechenden Antrag beim Versorgungsamt gestellt, so steht ihm der
Sonderkündigungsschutz nach §§85 ff. SGB IX aF auch
dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der
Antragstellung nichts wusste.
Der
Arbeitnehmer muss, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX
erhalten will, nach Zugang der - ordentlichen oder außerordentlichen -
Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist, die regelmäßig einen Monat
beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber seine bereits festgestellte oder zur
Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft geltend machen. Unterlässt
der Arbeitnehmer diese Mitteilung, ist die Kündigung jedenfalls nicht bereits
wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamts unwirksam. Der Arbeitnehmer
hat dann den besonderen Kündigungsschutz als Schwerbehinderter verwirkt.
Bei
Vorliegen besonderer Umstände kann die Monatsfrist durchbrochen werden.
Vor dem
Hintergrund der Neufassung des SGB IX und des § 4 KSchG erwägt der Senat, in
Zukunft von einer Regelfrist von drei Wochen auszugehen, innerhalb derer der
Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderung
oder den entsprechenden Feststellungsantrag mitteilen muss.
BAG, Urt. v. 2.2.2006 - 2 AZR 58/05,
NZA 2006, 868 (TV-liche ord. Unkündbarkeit)
1. Tarifvertragliche
Regelungen tragen den immanenten Vorbehalt ihrer nachträglichen
Änderung durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für Regelungen über einen
Sonderkündigungsschutz.
2. Ist
bisher tarifvertraglich die ordentliche Kündigung nach entsprechender
Beschäftigungszeit und ab einem bestimmten Lebensalter nicht ausnahmslos
ausgeschlossen, sondern bleibt bei bestimmten Betriebsänderungen eine
ordentliche
Kündigung zulässig, so sind die Tarifvertragsparteien grundsätzlich nicht
gehindert, die
Ausnahmevorschrift über die Zulässigkeit betriebsbedingter Kündigungen an
geänderte
Verhältnisse anzupassen.
Das
Vertrauen des Arbeitnehmers, der die tariflichen Voraussetzungen für den
Sonderkündigungsschutz (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter) bereits erreicht
hat, in die Aufrechterhaltung seines Sonderkündigungsschutzes im bisherigen
Umfang steht einer solchen Modifizierung der tariflichen Regelung nicht
entgegen.
BAG, Urt. v. 2.2.2006 - 2 AZR
596/04, NZA 2006, 678 (§ 18 BErzGG)
Das
Kündigungsverbot des § 18 BErzGG gilt nicht für
Arbeitsverhältnisse mit dem "anderen" Arbeitgeber iSd.
§ 15 Abs. 4 Satz 2 BErzGG .
Aus den
Gründen:
Bereits der
Wortlaut von § 18 Abs. 2 Nr. 2 BErzGG spricht für
dieses Ergebnis. In § 18 Abs. 1 Satz 1 BErzGG verwendet das Gesetz den Ausdruck "der" Arbeitgeber, um denjenigen
Arbeitgeber zu kennzeichnen, der den Sonderkündigungsschutz nach § 18 BErzGG zu beachten hat. Dagegen verwenden § 18 Abs. 2 Nr. 1
und Nr. 2 Satz 1 BErzGG, in denen der
Sonderkündigungsschutz für Teilzeitbeschäftigte geregelt ist, insoweit das Wort
"sein" Arbeitgeber. Diese Abweichung im Sprachgebrauch ist nur verständlich,
wenn man sich vergegenwärtigt, dass eine Teilzeitbeschäftigung nicht nur bei
dem Arbeitgeber möglich ist, dem gegenüber Elternzeit in Anspruch genommen
wird, sondern auch bei dem Arbeitgeber, in dessen Dienste der in Elternzeit
befindliche Arbeitnehmer nach § 15 Abs. 4 Satz 2 BErzGG mit Zustimmung des Erstarbeitgebers treten darf. Jener Arbeitgeber, zu dem
während der Elternzeit mit Zustimmung des Erstarbeitgebers ein
Teilzeitarbeitsverhältnis eingegangen wird, wird von § 15 Abs. 4 Satz 2 BErzGG als "anderer" Arbeitgeber bezeichnet.
Indem also das Gesetz in § 18 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 BErzGG von "seinem" Arbeitgeber spricht, wird eben jener "andere"
Arbeitgeber von der Anwendung des Sonderkündigungsschutzes ausgeschlossen.
Auch der
systematische Zusammenhang der §§ 15 ff. BErzGG bestätigt dieses Ergebnis. Die gesetzliche Regelung des Anspruchs auf
Elternzeit zielt darauf, das Verhältnis zwischen dem Elternzeitberechtigten und
demjenigen Arbeitgeber zu regeln, dem gegenüber Elternzeit beansprucht wird
oder werden kann. Beiden Seiten werden Rechte und Pflichten zugewiesen, die
zwei Zielen dienen sollen: Der Bestand des Arbeitsverhältnisses in der Phase
der Elternzeit soll gewahrt werden und gleichzeitig sollen die Eltern sich
ihren Kindern zuwenden können. In diesem Rahmen muss der Arbeitgeber mangels
entgegenstehender dringender betrieblicher Gründe auch mit der
Teilzeittätigkeit seines Arbeitnehmers bei einem "anderen"
Arbeitgeber einverstanden sein. Dieses "andere" Arbeitsverhältnis
wird also in § 15 BErzGG nur deshalb erwähnt, weil
und soweit es die Gewährung von Elternzeit in dem geschützten Arbeitsverhältnis
nicht stört, sondern im Gegenteil die Inanspruchnahme von Elternzeit in dem
geschützten Arbeitsverhältnis ermöglicht. Das legt es nahe, dass § 18 BErzGG jenes - vom Gesetz gewissermaßen in einer dienenden
Funktion gegenüber dem Erhalt des Erstarbeitsverhältnisses gesehene -
"andere" Arbeitsverhältnis nicht betrifft, sondern umgekehrt
voraussetzt, dass dort die Sondervorschriften über die Elternzeit nicht gelten.
BAG, Urt. v. 2.3.2006 - 2 AZR 83/05,
NZA 2006, 988 (§ 15 KSchG)
Den
Arbeitgeber trifft gegenüber einem Mitglied der Betriebsvertretung nach § 15
Abs. 5 KSchG die Pflicht, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln für dessen
angemessene Weiterbeschäftigung zu sorgen. Dabei hat der Arbeitgeber dem
Mandatsträger grundsätzlich eine möglichst gleichwertige Stellung anzubieten.
Durch das Angebot eines geringerwertigen Arbeitsplatzes mit geringerer Entlohnung genügt der Arbeitgeber grundsätzlich
noch nicht seinen gesetzlichen Verpflichtungen. Dies ergibt sich unmittelbar
aus der Pflicht des Arbeitgebers zur Übernahme des Mandatsträgers in eine
andere Abteilung.
Der
gleichwertige Arbeitsplatz in einer anderen Abteilung muss - anders als im
Falle des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG - nicht frei sein. Ist ein gleichwertiger
Arbeitsplatz in einer anderen Abteilung vorhanden und mit einem nicht durch §
15 KSchG geschützten Arbeitnehmer besetzt, muss der Arbeitgeber versuchen, den
Arbeitsplatz durch Umverteilung der Arbeit, die Ausübung seines
Direktionsrechts oder ggf. auch durch den Ausspruch einer Kündigung für den
Mandatsträger freizumachen.
Ist ein
gleichwertiger Arbeitsplatz in der anderen Abteilung nicht vorhanden, ist der
Arbeitgeber auch verpflichtet, gegenüber dem Mandatsträger ggf. eine Änderungskündigung
auszusprechen.
3. Die
innerbetriebliche Weiterbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers entfällt nach §
15
Abs. 5 Satz 2 KSchG nur ausnahmsweise, wenn dem Arbeitgeber die Übernahme in
eine
andere Betriebsabteilung "aus betrieblichen Gründen" nicht möglich
ist. Aus betrieblichen
Gründen ist eine Weiterbeschäftigung dann nicht möglich, wenn der Mandatsträger
auf
dem anderen innerbetrieblichen Arbeitsplatz nicht in wirtschaftlich
vertretbarer Weise
eingesetzt werden kann. Sowohl aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 KSchG als auch
dem
Sinn und Zweck der Norm des § 15 KSchG folgt aber, dass dem Mandatsträger
gegenüber anderen Arbeitnehmern grundsätzlich ein Vorrang für eine
Weiterbeschäftigung eingeräumt werden soll. Das Kollegialorgan Betriebsrat soll
nach Möglichkeit vor einer Auszehrung und persönlichen Inkontinuität geschützt werden. Die Regelung des § 15 KSchG zeigt, dass der Gesetzgeber
diesem Bestands- und Funktionsinteresse des Kollegialorgans Betriebsvertretung
eine hohe Bedeutung und Priorität eingeräumt hat.
4. Steht
nach Stilllegung einer Betriebsabteilung nur eine begrenzte Zahl von
Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in einer anderen Abteilung des Betriebs zur
Verfügung, genießen nach dem Sinn und Zweck von § 15 KSchG die aktiven
Mandatsträger bei der Besetzung der Stellen Vorrang vor den im
Nachwirkungszeitraum
sonderkündigungsgeschützten Ersatzmitgliedern. § 15 KSchG soll die Kontinuität
der
Betriebsratsarbeit sichern. Dies gilt auch für die personelle Zusammensetzung.
Dem
widerspräche es, im Falle des § 15 Abs. 5 KSchG bei einer noch begrenzten Zahl
zur
Verfügung stehender anderer Arbeitsplätze die Auswahl unter allen nach § 15
KSchG
geschützten Arbeitnehmern allein nach sozialen Gesichtspunkten entsprechend § 1
Abs. 3 KSchG vorzunehmen. Dies könnte letztlich dazu führen, dass die Mehrzahl
der aktiven
Amtsinhaber ausschiede und das Wahlergebnis so praktisch auf den Kopf gestellt
würde.
Die bevorzugte Berücksichtigung aktiver Amtsinhaber vor nur nachwirkend
geschützten
Ersatzmitgliedern rechtfertigt sich auch deshalb, weil der
Sonderkündigungsschutz beider
Gruppen im Gesetz - wie § 103 BetrVG zeigt - unterschiedlich stark ausgestaltet
ist.
BAG, Urt.
v. 1.3.2007 - 2 AZR 217/06, Pressemitteilung Nr. 17/07 (§ 85 SGBIX)
Vom
Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX werden nur Kündigungen gegenüber solchen
Arbeitnehmern erfasst, die bei Zugang der Kündigung bereits als
Schwerbehinderte anerkannt sind oder den Antrag auf Anerkennung mindestens drei
Wochen vor dem Zugang der Kündigung gestellt haben (§ 90 Abs. 2a SGB IX).
Auch die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten
Arbeitnehmer sind vom Sonderkündigungsschutz ausgeschlossen, wenn sie den
Gleichstellungsantrag nicht mindestens drei Wochen vor der Kündigung gestellt
haben.
34.Mutterschutz und Elternzeit
(außer Kündigungsschutz)
BAG, Urt v. 9.5.2006 - 9 AZR 278/05, NZA 2006,1413
Der Senat
hält an seiner im Schrifttum im Wesentlichen auf Zustimmung gestoßenen
Rechtsprechung fest, dass der Arbeitnehmer die Verringerung der Arbeitszeit
auch während der Elternzeit nach § 15 Abs. 5 bis Abs. 7 BErzGG beantragen kann (Bestätigung BAG vom 19.4.2005 - 9 AZR 233/04 = AP Nr. 44 zu §
15 BErzGG).
Soweit der
Senat (vergleiche Urteil vom 19.4.2005 - 9 AZR 233/04) ausgeführt hat, der
Arbeitnehmer sei nicht an sein Verlangen auf eine bestimmte Verringerung der
Arbeitszeit für die gesamte Dauer seiner Elternzeit gebunden, bedarf das nach
Ansicht des Senats der Klarstellung. Bereits im Antrag auf Verringerung der
Arbeitszeit hat der Arbeitnehmer die Dauer der verlangten Elternteilzeit und
den Umfang der Beschäftigung anzugeben. An diese Erklärungen ist er gebunden.
Das ergibt sich aus allgemeinem Vertragsrecht. Dem Arbeitnehmer, der zunächst
nur für die ersten beiden Jahre Elternzeit in Anspruch nimmt und während dieses
Zeitraums ganz oder teilweise mit verringerter Arbeitszeit arbeitet, wird
ermöglicht, auch im dritten Jahr der Elternzeit mit verringerter Arbeitszeit zu
arbeiten. Diese Möglichkeit hat der Arbeitnehmer, der Elternzeit bis zur
Vollendung des dritten Lebensjahres nimmt, nur dann, wenn seine Elternteilzeit
nicht den gesamten Zeitraum abdeckt.
§ 15 Abs. 7 BErzGG begründet nach seinem Wortlaut keinen Anspruch
auf eine bestimmte vertragliche Festlegung der verringerten Arbeitszeit. Das
steht einer auf entsprechende Verteilung gerichteten Klage nicht entgegen.
Soweit die Zeit der Arbeitsleistung nicht durch eine arbeitsrechtliche Regelung
bestimmt ist, wird sie durch den Arbeitgeber in Wahrnehmung seines Weisungsrechts
nach billigem Ermessen festgelegt (§ 106 GewO i.V.m.
§ 315 Abs. 3 BGB).
Ist der vom
Arbeitnehmer gewünschte Zeitraum verstrichen, kann das Klagebegehren nur noch
mit der Feststellungsklage i.S.v. § 256 ZPO verfolgt werden. Eine entsprechende
Antragsänderung ist unbedenklich zulässig. Das erforderliche besondere
Interesse ergibt sich daraus, dass die gerichtlich festgestellte Verpflichtung
des Arbeitgebers zur Festlegung der Arbeitszeit zu Ansprüchen des Arbeitnehmers
aus Annahmeverzug (§615 Satz 1 BGB) führt.
35. Prozesskostenhilfe
BAG, Beschl.
v. 24.4.2006 - 3 AZB 12/05, NZA 2006, 751
Für die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindungen sind Vermögen iSd. § 115 Abs. 3 ZPO.
Nach § 115
Abs. 3 Satz 2 ZPO gilt § 90 SGB XII entsprechend (Anm.: In seiner bis zum 31.
Dezember 2004 geltenden Fassung verwies § 115 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf § 88 BSHG).
Dementsprechend ist dem Arbeitnehmer ein sog. „Schonvermögen" zu belassen.
Da dem
Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes typischerweise Kosten
entstehen, ist es ihm in der Regel nicht zumutbar, die gesamte Abfindung
einzusetzen. Die Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes
entstehenden Kosten hängt von zahlreichen Faktoren ab, u.a.
von seiner beruflichen Qualifikation und von seinem Alter sowie den
Gegebenheiten des jeweiligen Arbeitsmarktes. Diese sind oft nicht leicht zu
ermitteln. Zudem ist bei Zufluss der Abfindung und im Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung nach § 120 Abs. 4 ZPO häufig noch nicht absehbar, ob
und ggf. welche - weiteren - Kosten dem Arbeitnehmer in Zukunft infolge des
Verlustes des Arbeitsplatzes noch entstehen werden. Aus Gründen der
Praktikabilität erweist sich eine Typisierung als erforderlich. Als
Anhaltspunkt für die Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des
Arbeitsplatzes typischerweise entstehenden Kosten kann derzeit die Höhe des
Schonbetrages für Ledige nach der Durchführungsverordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9
SGB XII dienen.
4. Kein
Regelfall im vorbezeichneten Sinne liegt beispielsweise
vor, wenn der
Arbeitnehmer kurz nach dem Beendigungszeitpunkt bereits eine neue Stelle im
selben Ort
gefunden hat.
Anm.: Nach
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 b) der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII beträgt das
Schonvermögen 2.600 Euro, zuzüglich
eines Betrages von 256 Euro für jede Person, die von der nachfragenden Person überwiegend unterhalten wird. Nach § 1
Abs. 1 Nr. 2 der DVO zu § 90 Abs. 2 Nr.
9 SGB XII ist Schonvermögen, wenn die Sozialhilfe vom Vermögen der nachfi-agenden Person und ihres nicht getrennt lebenden
Ehegatten oder Lebenspartners abhängig ist, der nach Nummer 1 Buchstabe a oder
b maßgebende
Betrag
zuzüglich eines Betrages von 614 Euro für den Ehegatten oder Lebenspartner und
eines Betrages von 256 Euro für jede Person, die von der nachfragenden Person,
ihrem Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten wird.
Die
praktischen Ergebnisse der vorbezeichneten Entscheidung des BAG seien an einem
Beispielsfall
veranschaulicht:
Arbeitnehmer,
verheiratet, einem Kind unterhaltspflichtig, kein sonstiges Vermögen beim
Arbeitnehmer oder seiner Ehefrau; Arbeitnehmer ist auf Stellensuche:
Schonvermögen
(Arbeitnehmer selbst) 2.600 Euro
Schonvermögen
(für die Ehefrau) 0.614 Euro
Schonvermögen
(für das Kind) 0.256 Euro
Schonbetrag
(für die Kosten i.Zsh. mit dem Verlust des
Arbeitsplatzes) 2.600 Euro
Gesamt: 6.0
70 Euro
Ergebnis:
Ein Anteil der Abfindung i.H.v. netto 6.070 Euro muss
vom Arbeitnehmer nicht eingesetzt werden.
36. Rechtsmittel und - behelfe
(insb. Nichtzulassungsbeschwerde)
BAG, Beschl.
v. 13.6.2006 - 9 AZN 226/06, NZA 2006,1004
Ein
Rechtsgrund zur Zulassung der Revision besteht regelmäßig nur dann, wenn sich
das Landesarbeitsgericht mit der vom Beschwerdeführer in der Beschwerde
formulierten Rechtsfrage befasst hat, sie also beantwortet hat. Es genügt
nicht, dass das Landesarbeitsgericht nach Auffassung des Beschwerdeführers sich
mit Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung hätte befassen müssen, die sich nach
der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht stellen.
BAG, Beschl.
v. 23.1.2007 - 9 AZN 792/06, juris
Der
Beschwerdeführer hat die nach § 72a Abs 3 Satz 2 Nr 1 ArbGG von ihm darzulegende entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher
Bedeutung regelmäßig so konkret zu formulieren, dass sie mit "Ja"
oder mit "Nein" beantwortet werden kann; das schließt im Einzelfall
eine differenzierte Formulierung nicht aus. Unzulässig ist eine Fragestellung,
deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt und damit auf die
Antwort "Kann sein" hinausläuft.
37.Rückzahlungsklausel
(Sonderleistungen, Aus-/Fortbildungskosten)
BAG, Urt. v. 17.11.2005 - 6 AZR
160/05, NZA 2006, 872
Kirchliche
Arbeitsvertragsrichtlinien (hier: § 10a der Richtlinien für Arbeitsverträge in
den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (DCVArbVtrRL oder AVR-Caritas) sind als AGB i.S.
der §§ 305 ff. BGB anzusehen, so dass grundsätzlich eine Inhaltskontrolle gem.
§ 307 BGB vorzunehmen ist. Diese ist jedoch unter angemessener Berücksichtigung
der Besonderheiten des Arbeitsrechts (§310 Abs. 4 Satz 2 BGB) durchzuführen.
Danach war
die verwendete Rückzahlungsklausel nicht zu beanstanden. Sie entspricht in
ihrem Regelungsgehalt den tariflichen Regelungen des BAT hinsichtlich der
Sonderregelung für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten
sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in
ärztlicher Behandlung stehen (Nr. 7 zu Abschnitt VII - Vergütung - des SR 2 a
BAT). Nach dieser Tarifregelung sind - von hier nicht vorliegenden Sonderfällen
abgesehen - die Aufwendungen der Fort- und Weiterbildung bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses auf Wunsch des Angestellten im ersten Jahr nach Beendigung
der Fort- oder Weiterbildung voll zurückzuzahlen, im zweiten Jahr zu zwei
Dritteln und im dritten Jahr zu einem Drittel zurückzuzahlen. § 10a Abs. 2 AVR-Caritas weicht davon lediglich zugunsten des
Arbeitnehmers insoweit ab, als in besonders gelagerten Fällen auf die
Kostenerstattung verzichtet werden kann und die Rückzahlungsverpflichtung -
anders als gemäß der grob nach Jahren differenzierenden tarifvertraglichen
Regelung - monatlich linear sinkt.
Beschäftigt
die Arbeitgeberin die Arbeitnehmerin bereits ab dem 1. November 2001 in ihrer
neuen Funktion als Wohnbereichsleiterin, setzt sie als maßgeblichen
Berechnungszeitpunkt für den Beginn der anspruchsmindernden Beschäftigungszeiten jedoch den 1. Februar 2002 an mit der Begründung, der
Arbeitnehmerin sei die erfolgreiche Teilnahme am Fort- und Weiterbildungskurs
erst am 31. Januar 2002 bestätigt worden, so ist dies nicht zulässig. Mit der
Nutzung der von der Arbeitnehmerin im Rahmen der Fort- und Weiterbildung
erworbenen Kenntnisse hat die Arbeitgeberin dokumentiert, dass die
Arbeitnehmerin spätestens ab diesem Zeitpunkt über die für eine Beschäftigung
als Wohnbereichsleiterin erforderlichen und durch die Fort-
und Weiterbildung vermittelten Kenntnisse verfügte. Nach Treu und
Glauben (§ 242 BGB) kann sich die Arbeitgeberin nicht darauf berufen, dass die
letzte Supervision und die Bestätigung der erfolgreichen Kursteilnahme erst
später erfolgten.
Eine
Vereinbarung, nach der ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auch die anteiligen
Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zu erstatten hat, ist nach § 32 SGB
I wegen Verstoßes gegen die zwingenden Bestimmungen der §§ 20 , 22 SGB IV
nichtig.
Anm.: Im
streitgegenständlichen Fall fanden im Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 1.
Juni 2001 im Rahmen der Weiterbildung der Beklagten zur Wohnbereichsleitung/Verantwortlichen
Pflegefachkraft zehn Kursblöcke mit jeweils einer Dauer von einer Arbeitswoche
ä 38,5 Stunden statt. In den Phasen zwischen den Kursblöcken hatte die Beklagte
außerhalb ihrer Arbeitszeit Hausaufgaben anzufertigen, um sich mit dem
Erlernten näher zu beschäftigen und eine Nachbereitung vorzunehmen. Nach
Abschluss des Blockunterrichts nahm die Beklagte an darauffolgenden acht
eintägigen Supervisionstreffen teil, zuletzt am 7. Dezember 2001. Eine
Bindungsdauer von drei Jahren, wie im streitgegenständlichen Fall geschehen,
hätte die Klausel als einzelvertragliche nach den Maßstäben der std. Rspr. des
BAG in der Tat nicht gerechtfertigt.
BAG, Urt. v. 11.4.2006 - 9 AZR
610/05, NZA 2006,1042
1. Eine vom
Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertrag aufgestellte Klausel, nach
welcher der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber getragene Ausbildungskosten bei
Beendigung
des Arbeitsverhältnisses ohne jede Rücksicht auf den Beendigungsgrund
zurückzahlen
muss, ist unwirksam, weil sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt (§
307 Abs.
1 BGB).
2. Eine
Rückzahlungsklausel stellt nur dann eine ausgewogene Gesamtregelung dar, wenn es
der Arbeitnehmer in der Hand hat, durch eigene Betriebstreue der
Rückzahlungspflicht zu entgehen. Verluste auf Grund von Investitionen, die
nachträglich wertlos werden, hat grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen. Hätte
der betriebstreue Arbeitnehmer die in seine Aus- oder Weiterbildung
investierten Betriebsausgaben auch dann zu erstatten, wenn die Gründe für die
vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich dem Verantwortungs-
und Risikobereich des Arbeitgebers zuzurechnen sind, würde er mit den Kosten
einer fehlgeschlagenen Investition seines Arbeitgebers belastet.
3. Die
Rückzahlungsklausel ist nicht mit dem Inhalt aufrechtzuerhalten, dass der
Arbeitnehmer nur bei einem seinem Verantwortungsbereich zuzurechnenden
Beendigungsgrund zur Rückzahlung der Ausbildungskosten verpflichtet ist. Eine
geltungserhaltende Reduktion der zu weit gefassten
Klausel scheidet aus. Unwirksame
Klauseln sind grundsätzlich nicht auf einen mit dem Recht der Allgemeinen
Geschäftsbedingungen zu vereinbarenden Regelungsgehalt zurückzuführen. § 306
BGB
sieht eine solche Rechtsfolge nicht vor. Eine Aufrechterhaltung mit
eingeschränktem
Inhalt wäre auch nicht mit dem Zweck der §§305 ff. BGB vereinbar. Es ist Ziel
des
Gesetzes, auf einen angemessenen Inhalt der in der Praxis verwendeten
Allgemeinen
Geschäftsbedingungen hinzuwirken. Dem Verwendungsgegner soll die Möglichkeit
sachgerechter Information über die ihm aus dem vorformulierten Vertrag
erwachsenden
Rechte und Pflichten verschafft werden. Dieses Ziel ließe sich nicht erreichen,
wenn jeder
Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zunächst die Grenze dessen
überschreiten könnte, was er zu seinen Gunsten in gerade noch vertretbarer
Weise
vereinbaren durfte. Würde dies als zulässig angesehen, hätte das zur Folge,
dass der
Vertragspartner des Verwenders in der Vertragsabwicklungspraxis mit überzogenen
Klauseln konfrontiert würde. Erst in einem Prozess könnte er dann den Umfang
seiner
Rechte und Pflichten zuverlässig erfahren. Wer die Möglichkeit nutzen kann, die
ihm der
Grundsatz der Vertragsfreiheit für die Aufstellung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen
eröffnet, muss auch das vollständige Risiko einer Klauselunwirksamkeit tragen.
38. Schadensersatz
BAG, Urt. v. 14.12.2006 - 8 AZR
628/05, juris
Der
Arbeitgeber ist verpflichtet, eine Berufsschullehrerin, die mit
drogenabhängigen Schülern arbeitet, die in großem Umfang mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert sind, über die Gefahr einer
Ansteckung aufzuklären.
Sowohl die
positive als auch die negative Feststellung des Sozialversicherungsträgers ist
bindend für die Frage, ob ein Versicherungsfall nach den §§ 104ff. SGB VII
vorgelegen hat. Die zur Entscheidung über den privatrechtlichen
Schadensersatzanspruch berufenen Gerichte haben daher etwaige
Fehlentscheidungen im sozialrechtlichen Verfahren auch dann hinzunehmen, wenn
die dortige Entscheidung auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage beruht
und sie selbst abweichende Feststellungen treffen könnten.
Macht die
Arbeitnehmerin im Wege einer unbezifferten Feststellungsklage geltend, dass der
Arbeitgeber für zukünftige Schäden als Folge der Hepatitis-C-Infektion,
die sie noch nicht beziffern kann, haftet, kommt vor dem Eintritt dieser
Schäden ein Verfall des Schadensersatzanspruchs auf Grund der Ausschlussfrist
nach § 70 BAT nicht in Betracht, auch wenn die Rechtsgutverletzung zu einem
früheren Zeitpunkt eingetreten ist.
BAG, Urt. v. 18.1.2007 - 8 AZR
234/06, Pressemitteilung Nr. 2/07
Kündigt der
Arbeitnehmer wegen Beleidigungen („Schauspieler", „Simulant",
„Weib", „Hure", „Drecksack" und „Arsch") oder Nötigungen
durch einen im Unternehmen für Personalangelegenheiten zuständigen Kollegen das Arbeitsverhältnis selbst, so besitzt er gegenüber
diesem Kollegen keine Schadensersatzansprüche. Weder verletzt der Kollege
gegenüber dem Arbeitnehmer ein Recht an seinem Arbeitsplatz im Sinne des § 823
Abs. 1 BGB noch besteht gegenüber dem Kollegen gemäß § 823 Abs. 2 BGB ein
Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls, der infolge der Eigenkündigung
eintritt.
39. Schwerbehinderung (außer
Kündigungsschutz)
BAG, Urt. v. 24.10.2006 - 9 AZR
669/05, DB 2007, 351
Der
Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 125 Abs. 1 Satz 1 1.
Halbsatz SGB IX tritt dem Urlaubsanspruch hinzu, den der Beschäftigte ohne Berücksichtigung
seiner Schwerbehinderung beanspruchen kann. Der Zusatzurlaub erhöht nicht nur
den gesetzlichen Mindesturlaub im Sinne von § 3 Abs. 1 BUrlG, der 24 Werktage
in der 6-Tage-Woche oder 20 Arbeitstage in der 5-Tage-Woche beträgt.
BAG, Urt. v. 21.11.2006 - 9 AZR
176/06, FA 2007, 27
Mehrarbeit
im Sinne des § 124 SGB IX ist jede über acht Stunden hinausgehende werktägliche
Arbeitszeit. Schwerbehinderte Arbeitnehmer haben einen Anspruch, auf ihr
Verlangen hin von dem Arbeitgeber nicht mehr als acht Stunden werktäglich
beschäftigt zu werden.
Als
Arbeitszeit im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG gilt
seit der Neufassung des Arbeitszeitgesetzes durch Art 4b des Gesetzes zu
Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 mit Wirkung ab 1.1.2004 auch der
Bereitschaftsdienst. Bei der Ableistung sogenannter
"Nachtbereitschaft" einer Heilerziehungspflegerin handelt es sich um
Bereitschaftsdienst, der auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit im Sinne des § 3
S. 1 ArbZG anzurechnen ist.
Die
Regelung (vergleiche § 7 Abs. 1 der Anlage 5 zu den AVR und §§8 und 9 der
Anlage 5 zu den AVR) der DCVArbVtrRL, dass
Bereitschaftsdienst keine Arbeitszeit darstellt, ist wegen Verstoßes gegen § 3
S. 1 ArbZG nichtig (§ 134 BGB), soweit dadurch die
gesetzliche Arbeitszeit im Sinne des § 3 S. 1 ArbZG verlängert wird.
40. Streitwert,
Streitwertfestsetzung, anwaltliche Gebühren
BAG, Beschl.
v. 29.3.2006 - 3 AZB 69/05, NZA 2006, 693
Eine unter
Mitwirkung eines Rechtsanwalts gefundene Regelung zwischen den Prozessparteien
eines Verfahrens, die den Streit und die Ungewissheit über die Wirksamkeit
einer Kündigung und das Bestehen des Arbeitsverhältnisses beseitigt, erfüllt
den Tatbestand der Einigungsgebühr nach Nr. 1003, 1000 Abs. 1 S. 1 des
Vergütungsverzeichnisses der Anlage 1 zum RVG.
41. Tarifvertrag
BAG, Urt. v. 11.10.2006 - 4 AZR
486/05, Pressemitteilung Nr. 61/06
Tarifvertragsparteien
können einen Tarifvertrag während seiner Laufzeit rückwirkend ändern und in
tarifliche Rechte eingreifen, soweit schutzwürdiges Vertrauen der Normunterworfenen
nicht verletzt wird.
Ob und ggf.
mit Wirkung zu welchem Zeitpunkt die Tarifunterworfenen mit einer rückwirkenden
Regelung rechnen müssen, ihr also kein schützenswertes Vertrauen
entgegenstellen können, ist eine Frage des Einzelfalles. In der Regel müssen
Beschäftigte nicht damit rechnen, dass in bereits entstandene Ansprüche
eingegriffen wird, auch wenn sie noch nicht erfüllt oder noch nicht fällig
sind. Anders ist dies nur dann, wenn bereits vor der Entstehung des Anspruchs
hinreichende Anhaltspunkte (z.B. in Form eines Informationsschreibens über
Tarifvertragsverhandlungen) dafür vorliegen, dass die Tarifvertragsparteien
verschlechternd in diesen Anspruch eingreifen werden.
42. Teilzeit
BAG, Urt. v. 15.8.2006 - 9 AZR 8/06, juris
§ 9 TzBfG begründet
unter den in der Vorschrift näher bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch des
Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Verlängerung der vertraglich
vereinbarten Arbeitszeit. Vorausgesetzt wird insbesondere, dass der Arbeitgeber
einen Arbeitsplatz mit der vom Arbeitnehmer gewünschten längeren Arbeitszeit zu
besetzen hat. Das Organisationsermessen des Arbeitgebers über das
Zeitkontingent des Arbeitsplatzes wird durch arbeitsplatzbezogene Merkmale
begrenzt.
LAG Köln, Urt. v. 3.2.2006 - 11 (13)
Sa 1246/05, NZA-RR 2006, 343
Die
Entscheidung einer Bank, im Interesse der Kundennähe in Zukunft auf allen
Arbeitsplätzen mit Kundenkontakt den Teilzeitbegehren der Mitarbeiter nicht
mehr stattzugeben, stellt allein keinen entgegenstehenden "betrieblichen
Grund" i. S. d. § 8 Abs. 4 S. 1 TzBfG dar.
Je näher
das behauptete unternehmerische Konzept an die Entscheidung, keine
Teilzeitbeschäftigung zuzulassen, heranrückt, um so höher sind die Anforderungen an die Darlegung dieses Konzepts.
LAG Düsseldorf, Urt. v. 233.2006 - 5
(3) Sa 13/06, FA 2006, 253
1. Der
Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit iSd. § 9
TzBfG kann an den
zuständigen Fachvorgesetzten gerichtet werden.
2. Der
Wunsch muss sich auf die Verlängerung der Arbeitszeit beziehen; eine bestimmte
Form, einen bestimmten Verlängerungsumfang und ein bestimmter Arbeitsplatz
müssen
nicht angegeben werden.
3. Lehnt
der Arbeitgeber einen Verlängerungswunsch trotz Vorhandenseins eines
geeigneten Arbeitsplatzes unberechtigt ab, entsteht ein Schadensersatzanspruch
in Höhe
der angemessenen Vergütung. Diese ist gegebenenfalls durch Schätzung nach § 287
ZPO zu ermitteln.
43. Urlaub
BAG, Urt. v. 14.3.2006 - 9 AZR
11/05, NZA 2006,1008
1. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Urlaubsanspruch
eines Arbeitnehmers (wie auch) auch dadurch erfüllt werden, dass der
Arbeitgeber den
Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Anrechnung auf
den
Urlaubsanspruch von der Arbeit freistellt. Die zur Erfüllung des Anspruchs
erforderliche
Erklärung des Arbeitgebers muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass eine
Befreiung von der Arbeitspflicht zur Erfüllung des Anspruchs auf Urlaub gewährt
wird.
2. Die
Erfüllung von Urlaubsansprüchen durch den Arbeitgeber bedarf der
unwiderruflichen Befreiung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht. Nur dann
ist es
dem Arbeitnehmer möglich, anstelle der geschuldeten Arbeitsleistung die ihm auf
Grund
des Urlaubsanspruchs zustehende Freizeit uneingeschränkt zu nutzen.